Wann ist Notwehr erlaubt?
Wann ist Notwehr aus juristischer Sicht eigentlich erlaubt?
Wird man von einer Person angegriffen, verteidigt sich und verletzt dabei den Angreifer, liegt aus rechtlicher Sicht eine Körperverletzung vor. Eine Körperverletzung ist grundsätzlich gemäß § 83 StGB immer gerichtlich strafbar.
Liegt jedoch ein Rechtfertigungsgrund wie Notwehr vor, ist eine Körperverletzung nicht strafbar.
Im österreichischen Strafgesetzbuch (StGB) ist die Definition von Notwehr in § 3 StGB geregelt. Demnach gilt folgendes:
- Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperlicher Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.
- Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (Abs. 1) bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschieht, nur strafbar, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist.
Voraussetzung für Notwehr:
Ein gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender Angriff:
Eine Notwehrsituation liegt nur bei einem gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff eines Menschen auf ein notwehrfähiges Rechtsgut vor (objektive Notwehrsituation). Ein Angriff durch einen Menschen kann nur bei einer aktiven Tätigkeit vorliegen. Der Angreifer schlägt zum Beispiel mit seiner Faust auf sein Opfer ein.
Ein passives Verhalten ist durch Notwehr nicht gerechtfertigt. Wenn zum Beispiel ein Türsteher eine Person, die das Lokal nicht verlassen will, aber keine aktive Angriffshandlung setzt, verletzt, kann dieser sich nicht auf Notwehr berufen.
Der Angriff muss gegenwärtig oder unmittelbar drohend sein. Ein Angriff ist gegenwärtig, solange er tatsächlich andauert. Unmittelbar drohend ist ein Angriff, wenn er kurz bevor steht. Wenn zum Beispiel ein Angreifer die Faust ballt und zum Schlag ausholt.
Keine Notwehrsituation liegt vor, wenn der Angriff bereits abgeschlossen ist. Der Angreifer hat zum Beispiel zugeschlagen und geht weg. Attackiert das Opfer dann den Angreifer nachträglich, liegt keine Notwehrhandlung mehr vor. Eine festgelegte Zeitspanne, innerhalb welcher die Notwehrhandlung erfolgen muss, wie zum Beispiel die häufig zitierte drei Sekunden Regel, gibt es nach der Rechtsprechung nicht.
Das Opfer muss zudem auch wissen, dass es sich in einer tatsächlichen Notwehrsituation befindet (subjektive Notwehrsituation). Ein Täter, der einen flüchtigen Dieb niederschlägt, ohne von dessen Diebeseigenschaft Kenntnis zu haben, begeht eine Körperverletzung, die er nicht mit dem Argument der Notwehr rechtfertigen kann
Rechtswidrigkeit des Angriffes:
Der Angriff muss rechtswidrig sein, also nach dem Gesetz verboten sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Angriff nicht durch einen Rechtfertigungsgrund, wie Notwehr oder rechtfertigender Notstand, gedeckt ist.
Gegen einen Angriff in Ausübung der Notwehr gibt es übrigens keine Notwehr. Wenn zum Beispiel eine Person angegriffen wird und sich dann verteidigt, kann der Angreifer sich nicht auf Notwehr berufen, um das Opfer erneut anzugreifen. Auch die berechtigte Festnahme durch ein Sicherheitsorgan, selbst wenn dieses hierzu Gewalt einsetzen muss, ist ebenfalls kein rechtswidriger Angriff und ist dagegen keine Notwehr zulässig.
Notwehrfähiges Rechtsgut:
Die Abwehr eines Angriffs ist im Rahmen der Notwehr nur dann gerechtfertigt, sofern es sich um einen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut handelt. Als solche gelten Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit und Vermögen.
Es gibt keine Notwehr gegen Verletzungen der Ehre. Das bedeutet, Beleidigungen rechtfertigen niemals einen Angriff auf eine Person.
Der Notwehrschutz kommt nur persönlichen Rechtsgütern zu. Angriffe auf Rechtsgüter Dritter können jedoch Nothilfe begründen. Für sie gelten die Grundsätze der Notwehr. Unter Nothilfe versteht man, somit wenn eine andere Person angegriffen wird und ich dieser Person zu Hilfe komme und sie gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidige.
Notwehrhandlung:
Die Abwehr des rechtswidrigen Angriffs muss sich auf die notwendige Verteidigung beschränken. Es sind nur jene Handlungen gedeckt, die den Angriff sofort und endgültig abwehren und von den verfügbaren Mitteln das Schonendste darstellten. Ein Risiko braucht der Angegriffene allerdings nicht einzugehen, das bedeutet es ist großzügig auszulegen, welches Mittel das Schonendste ist.
Es besteht auch keine Ausweichpflicht des Angegriffenen, das bedeutet der Angegriffene muss nicht von einem Angreifer davonlaufen, selbst wenn er dadurch dem Angriff entgehen könnte. Geht jedoch der Angriff von Kindern oder Geisteskranken aus oder wurde die Gefahr selbst aufgesucht, besteht eine Ausweichpflicht.
Die Gesundheit des Angreifers darf nur insoweit beeinträchtigt werden, als es zur Abwehr des Angriffes unbedingt notwendig ist. Dabei müssen die Art und Intensität des Angriffes, die Gefährlichkeit des Angreifers und die zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mittel berücksichtigt werden.
Die Notwehrhandlung muss die letzte Möglichkeit zur Verteidigung darstellen. Der durch die Verteidigung zu erwartende Schaden darf nicht außer Verhältnis zu dem durch den Angriff drohenden Schaden stehen. Dies gilt insbesondere in Fällen in denen dem Opfer nur ein geringer Schaden droht. Dann muss die Verteidigungshandlung angemessen sein. Beispielsweise darf ein Opfer einen Taschendieb nicht mit einem Hammer verprügeln.
Nicht auf Notwehr kann sich übrigens derjenige berufen, der die Konfrontation mit dem anderen selbst herbeigeführt hat, diesen provoziert oder selbst zuerst angegriffen hat.
Grenzen der Notwehr:
Notwehrüberschreitung (Notwehrexzess):
Eine Notwehrüberschreitung liegt vor, wenn der Angriff mit unverhältnismäßigen Mitteln abgewehrt wurde. In diesem Fall kann man sich selbst strafbar machen. Dies, obwohl man vorher selbst angegriffen wurde.
Eine Notwehrüberschreitung ist zum Beispiel dann gegeben, wenn ein Angreifer einer Person eine Ohrfeige gibt und diese prügelt ihn dann mit einem Baseballschläger nieder. Dann würde sich das Opfer selbst wegen vorsätzlicher (schwerer) Körperverletzung strafbar machen.
Dabei ist jedoch wiederum zu unterscheiden:
Erfolgt die Überschreitung aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken, so entfällt die Bestrafung wegen vorsätzlicher Begehung der Tat. Allerdings ist eine Bestrafung wegen fahrlässiger Begehung möglich, sofern der Abwehrende fahrlässig gehandelt hat und die fahrlässige Begehung des Delikts strafbar ist. Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Abwehrende die Notwendigkeit oder Angemessenheit der Verteidigungshandlung verkannt hat. Verteidigt sich zum Beispiel das Opfer gegen einen Angriff mit unverhältnismäßigen Mitteln und erfolgte dies aus Furcht oder Schrecken, kann er sich wegen fahrlässige Körperverletzung strafbar machen.
Achtung, erfolgt die Überschreitung aus Wut oder Empörung, ist der Verursacher wie bei vorsätzlicher Notwehrüberschreitung, dafür voll strafrechtlich verantwortlich.
Putativnotwehr:
Darunter versteht man die irrtümliche Annahme, dass eine Notwehrlage vorliegt. Man kann dabei nicht wegen vorsätzlicher Tatbegehung bestraft werden, allerdings ist eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung möglich.
Achtung, beruft sich jemand auf Notwehr, ohne dass eine Notwehrsituation vorgelegen hat, zieht dies die volle strafrechtliche Verantwortung nach sich.
Fazit:
Der Täter ist durch Notwehr gerechtfertigt und straflos wenn
- objektiv eine echte Notwehrsituation vorgelegen hat
- er über das Vorliegen einer solchen Bescheid wusste (subjektive Notwehrsituation)
- Er in diesem Fall das gelindeste Mittel zur Abwehr des Angriffes verwendet oder er bloß aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß überschritten hat und ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in dieser Situation ebenso gehandelt hätte.
Es ist immer die Aufgabe des Gerichts festzustellen, ob eine Notwehrsituation vorgelegen hat.
Es kann daher durchaus sein, dass man nach eigener Meinung in Notwehr gehandelt hat, jedoch trotzdem ein Strafverfahren gegen einen selbst eröffnet wird. In diesem Fall sollte daher immer umgehend ein Rechtsanwalt als seinen Verteidiger kontaktiert werden, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen und nicht plötzlich als Angeklagter verurteilt zu werden. Weitere Informationen zu einzelnen Delikten im Strafrecht finden Sie hier.
Stand November 2021
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Mag. Sascha Flatz, Ihr Rechtsanwalt für Strafsachen in Wien.
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